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Alles in seiner Zeit

In unserem Urlaub waren wir diesmal auf Hüttentour in den Alpen unterwegs. 6 Tage wandern, 5 Übernachtungen auf 5 verschiedenen Hütten, 2 Länder und mehrere sehr unterschiedliche Landschaftsräume. Es waren sehr reiche Tage, um wieder ganz und gar in die Natur einzutauchen und wieder mit mir selbst im Kontakt zu sein.

Da war der schmale Weg am Ufer des Sees entlang – teilweise sehr zugewachsen, die Sicht mal ganz weit bis zum nächsten Ufer hinweg, ein anderes Mal konnten wir keine 3 Schritte voraussehen. Hier hieß es, sehr konzentriert sein und sehr achtsam, denn hin und wieder war der Weg ganz weg und wir mussten auf Spurensuche gehen. Wie im wahren Leben: Manchmal weiß man wohin man möchte, aber der Weg dahin verliert sich auf einmal im Gewirr des Alltags. Man kann dann aufgeben und ein neues Ziel suchen, oder man verlässt sich auf seine Sinne: Genau beobachten und hinschauen, spüren, vielleicht probieren, oder ein Stück zurück gehen, um die Spur wieder zu finden. Es macht Spaß, wenn man dann auch auf einem kleinen, kaum sichtbaren Pfad seinem Ziel näherkommt.

Im Waldraum sind die Bäume in verschiedenen Zeitaltern. Junge und ganz alte. Die haben überhaupt keine Eile. Sie wachsen jedes Jahr einige Zentimeter, langsam und beständig und werden so viele hundert Jahre alt, zeugen so von Beständigkeit und Gelassenheit. Das war für mich die Einladung, Geschwindigkeit herauszunehmen. Wozu die Hast? Langsam, Schritt für Schritt. Pausen zum atemholen, zum schauen und staunen. Beständigkeit und achtsam sein – auch so komme ich abends an die Hütte, oder an meine Ziele.

Später führte der Weg über weite Flächen über nackten Fels, direkt unterhalb der Sonne. Einzelne Blumen trotzten in der Kargheit der rauen Wirklichkeit einige Zentimeter Humusboden ab und strahlten in ihren Farben einzigartig. Welch eine Freude, welch eine Lebendigkeit und Schönheit in einer grauen, eintönig erscheinenden Hochebene. Wie oft entgeht uns das Besondere in unserem Alltag? Das Schöne, Farbenfreudige, das Winzige oder das Besondere – weil es klein und fast unscheinbar ist, weil unsere Wahrnehmung mit anderem beschäftigt ist, weil wir zu sehr auf das Erreichen von etwas „Wichtigerem“ fokussiert sind. Und dabei die Lebensfreude vergessen und uns vom Stress erdrücken lassen. Dabei ist es ein winziger Moment, zu sehen und wahrzunehmen, was NOCH auf unseren Wegen vorhanden ist.

Sonne und Regen wechselten sich ab auf der Tour. Es war eine Wohltat, den Regen auf der Haut zu spüren, nach einem anstrengenden Anstieg. Es waren nur noch wenige Minuten bis zur Hütte und wir konnten im Regen gelassen bleiben. Im Gegenteil, wir freuten uns über die Abkühlung. Dafür zeigten sich dann am nächsten Morgen die Tücken, die der Regen mit sich brachte: Wege und Steine waren sehr glatt und wir mussten extrem aufpassen, wohin wir unsere Schritte setzten. An dem Morgen sprachen wir wenig. Sehr konzentriert waren wir auf dem Weg. Vielleicht war es, weil wir so leise waren, vielleicht war es etwas anderes - aber an dem Tag haben wir am häufigsten Murmeltiere und Gämsen sehen dürfen. Und jedes Mal, war es wie ein Geschenk, was wir erhalten hatten.
Wie ist das in Ihrem Alltag – nehmen Sie die kleinen Geschenke wahr?

Der Wanderurlaub hat vieles in mir berührt. Das Eintauchen komplett in eine Welt ohne Internet & Co und damit das vollständige heraustreten aus der „normalen Welt“ war eine enorme Bereicherung. Auch auf den Hütten – es wurden Brettspiele gespielt, sich miteinander unterhalten oder nur dagesessen und sich und den Naturraum erspürt. Unterschiedliche Wege brachten verschiedene Möglichkeiten: schmale, kaum sichtbare Pfade, Wege über Wurzeln, Steine und Bäche oder auch der Forstweg mit ständig heranbrausenden Mountainbikern. Jeder hatte seine Herausforderungen, für die ich mich entscheiden konnte. Wenn ich es nicht tat, war ich selbst für die Konsequenz verantwortlich. Das Wetter musste hingenommen werden – es war einfach da, also machen wir das Beste daraus. Es bringt nichts zu lamentieren und seine Energie hineinzugeben, wenn es nicht zu ändern ist. Für mich war es eine Wohltat Regen und Sonne zu spüren, die Kühle am Morgen oder in den Abendstunden, den Sternenhimmel und auch die verschiedensten Wolkenformationen. Ja und auch das Stolpern gehörte mit dazu. Ein paar blaue Flecken, die mir zeigen, ich muss zukünftig besser mit meiner Kraft haushalten, aufmerksamer sein, kann nicht gehen und gleichzeitig schauen, wenn der Weg es nicht hergibt.

Die blauen Flecken verheilen – die Wanderung ist und bleibt eine tiefe Bereicherung, von der ich noch lange zehren werde. Manches kann ich schon einordnen, anderes braucht noch etwas Zeit, Geduld und Verstehen. Was ich gelernt habe: Ich kann, wenn ich will. Auch über vermeintliche Denkgrenzen hinaus gehen und dadurch den tiefen Reichtum der Natur und meines Seins erleben. Alles in seiner Zeit.

Wenn du jetzt aufgibst, wirst du nie erfahren, wie es ist und was es ausmacht, anzukommen.

Bildnachweis: Kathrin Stavenhagen